Sonntag, 11. Dezember 2011

"Miss, Miss, Miss"

So langsam habe ich mich an mein neues Projekt gewöhnt, habe die Kinder schon in mein Herz geschlossen und kann vernünftigen Unterricht geben.
Meine Schule ist ungefähr 20 – 30 Minuten von meiner Unterkunft entfernt und die Hälfte kann ich mit Yvonne, die in einer anderen Schule höhere Klassen unterrichtet, gehen bevor sich unsere Wege trennen. Jeden Morgen kurz nach 9 Uhr gehen wir zusammen los. In dieser zeit machen die ersten Läden auf, der Chai wird gekocht und alle machen sich auf den Weg zur Arbeit oder zur Schule. Mein Schulweg führt mich einfach eine große Straße herunter, vorbei an diversen indischen Tante-Emma-Läden, Cafés, Restaurants, Schneidern, Juwelieren und was eine Kommerzstraße in Indien sonst noch so zu bieten hat. Es sind sogar viele westliche Läden vorhanden, was für mich Versuchung unnötig Geld auszugeben, bedeutet. Natürlich ist das ganze aber auch sehr praktisch, da ich mich deswegen nicht mehr so häufig in den Bus setzen muss um in die Stadtmitte zu fahren.





Ich mag es, morgens noch ein bisschen zu laufen und die gerade aufwachende Stadt zu genießen und in freundliche Gesichter zu schauen.
Besonders gerne laufe ich an einer Nomadenfamilie vorbei. Das sind die fröhlichsten und freundlichsten Menschen, die ich je getroffen habe. Obwohl sie an Hab und Gut fast nichts besitzen, nur in Zelten auf dem Boden schlafen, ständig vollgestaubt sind und manche Kinder ohne Hosen herumlaufen, scheinen sie glücklich und zufrieden zu sein. Mir wird immer warm ums Herz, wenn ich an ihnen vorbeilaufe und schon von weitem ihre Begrüßung und Lachen höre.



Von dort aus ist es nicht mehr weit bis zu meiner Schule. Kaum habe ich das Schulgelände betreten, kommen die Kinder, vor allem die Schüler, die ich unterrichte, angerannt und begrüßen mich mit gehobener Hand.
Kurz vor zehn Uhr, nach dem Gong (mit einem Metallhammer wird gegen eine Metallplatte gehauen), kommen alle Kinder auf den Schulhof und stehen perfekt in Reihe und Glied. Die Primary- getrennt von den High School – Klassen. Ein Kind steht vorne von den anderen, ebenso die Lehrer. Insgesamt gibt es 155 Schüler. Das vorne stehende Kind schreit irgendwas auf Kannada und dann falten alle ihre Hände und der „Prayer“ beginnt. Direkt danach wird die Hymne vom Bundesstaat Karnataka und zum Schluss die Nationalhymne gesungen. Anschließend marschieren die Kinder ordentlich in ihre Klassen. Manchmal wird das Ganze noch mit Trommelmusik begleitet. Dann endlich, nachdem sich die Lehrer in die Anwesenheitsliste eingetragen haben, beginnt um 10 Uhr der Unterricht.
Eine Stunde dauert 45 Minuten. Mittagspause ist um 13 Uhr und dauert eine Schulstunde. Schluss ist um 16 Uhr, das heißt vor dem Mittag gibt es vier Stunden und danach drei. Wobei die allerletzte Stunde in der Primary Stufe (1.-7. Klasse) nie gemacht wird, weil die Kinder dann auf dem Schulhof toben und spielen – das wird P. T. („Physical Treatment“) genannt. Ich finde aber „Play Time“ treffender.

Der Schulhof

Eine Gruppe von FSL hat Teile der Schule gestrichen und schöner gemacht.


Das Lehrerzimmer


Ich habe eine Stundenplan erhalten und unterrichte vor allem die 4. und 5. Klassen. Beide bestehen aus nur etwa zehn Schülern und machen für mich das Unterrichten besonders einfach und übersichtlich. Englisch- und Kunstunterricht mache ich,wobei der Englischunterricht überwiegt. Die Kinder haben Spaß im Unterricht und freuen sich, wenn ich die Klasse betrete. Zwar wissen sie mittlerweile, dass ich sie im Gegensatz zu den anderen Lehrern zur Bestrafung nicht schlage, aber dennoch sind sie die meiste Zeit aufmerksam. In beiden Klassen gibt es zwei oder drei Schüler , die gar kein Englisch sprechen oder schreiben können. Die anderen sprechen zwar auch fast nur Kannada, können aber wenigstens englische Buchstaben lesen und schreiben. Ich hoffe, ihren englischen Wortschatz im Laufe der Zeit zu erweitern und sie zu motivieren, mehr Englisch zu sprechen. Ein weiteres Ziel von mir ist es, dass sie ihre eigene Fantasie nutzen und nicht immer nur kopieren. Das ist eins der größten Probleme der Bildung in Indien. Die Kinder lernen Wörter oder Sätze auswendig, wissen aber nicht was es bedeutet. Es wird 100 Mal wiederholt, bis es in den Hirnen der Kinder festsitzt. Selbstständig denken und eigenständig handeln ist ihnen fremd. Disziplin haben sie jedoch. Wenn ich die Klasse betrete, stehen alle Kinder auf und begrüßen mich. Wenn ich die Klasse verlasse, rufen sie „Thank you miss“.
Die Situation mit meinen Kollegen hat sich noch nicht wirklich geändert. Sie haben sich zwar schon ein bisschen an mich gewöhnt, aber unterhalten sich einfach durchgehend auf Kannada und beziehen mich selten ins Gespräch ein. Die meisten können auch nur Brocken Englisch und verstehen mich nicht. Mittags sitzen wir alle zusammen und teilen unser Essen. Die meisten bringen Lunch Boxen mit. Die Kinder kriegen in der Schule Mittagessen. Mir ist es freigestellt, ob ich das Essen des Projekts wähle oder eine Lunch Box mitbringe. Wenn alle da sind, werden die Boxen geöffnet und jeder gibt jedem ein wenig von seinem Essen ab. Ich finde dieses Ritual toll und es stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Außerdem lerne ich nebenbei noch etwas über indisches Essen.
Fließendes Wasser gibt es in der Schule nur selten und allgemein ist die Schule in einem schlechten Zustand. Es tropft von den Decken, es schimmelt an den Wänden, es gibt kein Material zum Arbeiten und wenig Spielzeug.Aber immerhin gibt es Sitzbänke und Tische für die Kinder! Für die meisten Kinder ist die Schule ihre einzige Chance etwas aus ihrer Zukunft zu machen und ein Mal mehr Geld zu verdienen als ihre Eltern. Mein Direktor betont immer wieder, dass die Kinder aus armen Familien stammen und entschuldigt damit, dass sie fast kein Englisch verstehen.






Mir geht es gut in der Schule und der Unterricht macht mir Spaß, sodass ich abends kaputt und glücklich ins Bett falle. Denn trotz dem „Süß-Faktor“ der Schüler ist der Unterricht anstrengend.
Da ich die erste Freiwillige in diesem Projekt bin, hoffe ich die Lehrerinnen etwas offener zu machen und eine gute Grundlage für nächste Freiwillige schaffen zu können. Sehr viel Zeit bleibt mir nicht mehr, da Ende März bis Ende Mai Sommerferien sind und ich wahrscheinlich im Februar drei Wochen Urlaub nehme um den Norden zu bereisen. Nicht zu vergessen sind die ganzen Feiertage. Wobei es nicht mehr so viele sein werden wie in den letzten Monaten. Dennoch sind es sozusagen nur noch drei Monate, in denen ich an dieser Schule aktiv bin: Januar, März und Juni. Ich hoffe, diese Zeit so gut es geht zu nutzen, ganz viel zu geben und zu nehmen!
Das war ein kleiner Einblick in meinen Schulalltag. Bei Fragen schreibt mich gerne an!
Ich werde sicher noch über die Arbeit in der Schule, die Entwicklung der Kinder und besondere Ereignisse in der Bharata Sevadala School berichten.

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